Robert Freund
„…So mögen gesellschaftliche wie politische Ereignisse in einem bestimmten Moment für den Maler genauso wichtig sein, wie eine Romanfigur oder eine Anregung durch ein Gedicht. … Eine kritische Haltung haben nahezu alle Figuren in diesen Werken.
…Ruskins Versuch, Kunst, Gesellschaft und Arbeit zu einer Einheit zu verbinden, fand viele Anhänger, auch Mahatma Gandhi gehört zu ihnen und Joseph Beuys. Im Vordergrund stehen Mensch und Handwerk. Das moderne Produktdesign hat hier seinen Ausgang gefunden. Robert Freund widmet diesem herausragenden Denker und Anreger ein würdevolles Portrait: „The restless spirit of John Ruskin“(„2011).“
Tayfun Belgin: Von geheimnisvoller Schönheit | Zeitgenössische figurative Positionen , Osthaus Museum Hagen, 2016, Seite 56
Robert Freund- everything counts in large amounts
„Rätselhaft und undurchschaubar erscheint Freunds Werkkomplex, ein Konglomerat aus Ölgemälden, Tuschezeichnungen, Portraits, sowie bemalten Vasen und Totenköpfen. Durch den Ausstellungstitel “everything counts in large amounts” – ein Songzitat der englischen Band Depeche Mode – sind jedoch die großen Themen angedeutet, denen sich sein Werk in all seiner Skurrilität unterordnet. Freund gräbt im reichen Fundus der Geisteswissenschaften, spürt dort Bilder und Texte zu Themen auf, die ihn einnehmen, und katapultiert die Fundstücke mit der ihm eigenen intensiven Formen- und Zeichensprache in die unmittelbare Gegenwart. Er verknüpft Symbole und Inhalte aus Kunst, Literatur oder auch Popkultur mit persönlichen Chiffren und kombiniert diese zu einem sowohl grauen- als auch wundervollen Kuriositätenkabinett. Hier gemahnen Vanitassymbole wie mit Arabesken bemalte Keramiktotenköpfe, oder eine mit dem Slogan “fitter, happier, more productive” signierte Zeichnung eines Spiegels, aus dem ein Totenschädel mit klagenden Augen und irrem Lachen blickt, an Vergänglichkeit und Eitelkeit. Auf einer Vase ist ein Text aus Brechts Dreigroschenoper zu erkennen, verwoben mit Ornamenten aus Fischen – aufgrund ihrer Symbolkraft ein häufig gebrauchtes Sinnbild im Werk Freunds. Mittelpunkt der Ausstellung ist das Ölgemälde “jenny and the magpie”. Vor der Kulisse einer apokalyptischen Stadtlandschaft trifft die mit einer Steinschleuder bewaffnete Jenny – eine Anspielung auf die Figur des rachegeplagten Zimmermädchens im Dreigroschenroman von Berthold Brecht – auf marionettenartige Elstern, die von Männern in Tweedanzügen gesteuert werden. Wie häufig in Freunds malerischem Werk, bildet sich durch die radikale Perspektive ein Sog, der den Rezipienten in die Tiefe seines bewegenden, allegorischen Bildes zieht… Es sei auch erwähnt, dass der handwerkliche Aspekt eine bedeutende Rolle in der Arbeit von Freund spielt. Der Schnelllebigkeit unserer Zeit tritt er mit seiner bedächtigen, kontemplativen Arbeitsweise entgegen, mit der er Glas, Holz, Keramik, Leinen oder Papier behandelt. In diesem Sinne ist auch die Reminiszenz an John Ruskin – im 19. Jahrhundert tätiger Kunsthistoriker und Sozialreformer – zu verstehen, der sich für die Verbindung von Kunst, Wirtschaft und Politik aussprach, und das Handwerk als schöpferischen Wert sah.“
Alexandra Kontriner: Robert Freund- everything counts in large amounts, MUSA Museum auf Abruf der Stadt Wien, 2011
Erzählungen | -35/65+ zwei Generationen
„Die Geschichten in Robert Freunds Bildern hängen von dem ab, der sie liest, denn jedes Werk lässt eine Fülle an Deutungen zu. Bewusst fordert Freund den Betrachter zur Interpretation heraus, reißt eine Geschichte an, lässt eine andere versanden, macht Andeutungen, klärt dabei nie auf. Im Kopf lösen sich die Figuren aus ihrer Erstarrung und machen da weiter, wo sie in Robert Freunds Erzählung eingefroren wurden. Meist bilden Collagen die Vorstufe der Kompositionen – dynamisch arrangierte Sammelsurien aus geometrischen und amorphen Objekten, Fabelwesen und Personen, die inmitten des evozierten Ausnahmezustandes oft wie verloren wirken. Freund ordnet sie wie Traumbilder auf meist großformatigen Leinwänden an, für die er aus einem riesigen Bildfundus aus Videospielen, sakralen Glasmalereien, Werbeplakaten oder Alltagsgegenständen schöpft. Die leuchtenden Farben verstärken das Surreale in den Motiven Freunds und platzieren sie gleichzeitig in formaler und ästhetischer Nähe zur Plakatkunst. In einer Mischung aus gegenständlicher Malerei und abstrakten Elementen hebt Freund alle Grenzen der Physik auf, die Phantasie ist einziger Herrscher seiner Systeme. Also lässt er Schraubenschlüssel regnen, Drachen erscheinen und Postboten mechanische Beine wachsen. Düstere, türenlose Häuser biegen sich und machen Platz für ein gewaltiges, durch die Luft fliegendes Zahnrad. Hoc signum crucis erit in celo, cum Dominus ad iudicium venerit. Dieses Zeichen des Kreuzes wird am Himmel sein, wenn der Herr zum Gericht erscheinen wird, heißt es in einer Darstellung des Jüngsten Gerichts im Breisacher Münster. Und noch ein anderes Element sticht im Vergleich ins Auge: Die Form des Zahnrades in Signum 1 entspricht der des Kirchenfensters, das die mittelalterlichen Fresken krönt. Die heroische Figur in Robert Freunds Bild hat den Kampf zwischen den Kräften des Guten und denen des Bösen, der (nach der Offenbarung des Johannes) der Apokalypse vorausgeht, wohl längst gewonnen.“
Katrin Bucher Trantow, Katia Schurl: Kunsthaus Graz, Erzählungen | -35/65+ zwei Generationen. Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König 2007, Seite 32, 33